“Klauengesundheit”: Digital ist gut – konsequent umgesetzt ist besser
Prof. Adrian Steiner zeigte, dass vier Haupt- und vier Nebenmassnahmen genügen, wenn sie zu mehr als 50 % umgesetzt werden. Dann sinkt die Lahmheitsrate und die Investition in die Klauenarbeit amortisiert sich. Selbst chronische digitale Dermatitis kann abheilen: 26 von 26 Läsionen verschwanden klinisch, 23 von 26 wurden PCR-negativ, wenn Therapie und Hygiene konsequent erfolgten. Dermatitis digitalis Kühe sind somit keine lebenslänglichen Problemfälle. Der Überblick zeigt weiter, dass Rasse und Alter die Befallshäufigkeit stärker beeinflussen als gedacht – Zuchtwerte für Klauengesundheit gewinnen damit an Bedeutung. Für die Praxis heisst das: Dokumentation, klare Prioritätenliste und quantitative Nachkontrolle sind Pflicht. Nur so verwandelt sich Digitalisierung aus Datensammlung in messbaren Klauengesundheitsgewinn.
Tierärztliche Ausbildung – weg vom Perfektionismus, hin zur Resilienz
Prof. Kerstin Müller warnte vor dem Perfektionismus-Phänomen: hohe Ansprüche, geringe Resilienz und Selbstwertmangel treiben viele Studierende früh aus dem Beruf. Dabei wurde deutlich: Die Praxis steht vor Personalmangel, fortschreitender Digitalisierung und wachsenden Tierwohl-Erwartungen; die Nutztierhaltung konzentriert sich, es gibt immer mehr Haustiere in den Städten, Behandlung wird zur Beratung. Im Kern bleibt die sichere Beherrschung häufiger Eingriffe, Notfallversorgung, Befundinterpretation und Meldewesen – ergänzt um KI- und Qualitätssicherungskompetenz. Neue Curricula sollen auf begleitetes Selbststudium, Prinzipien statt Faktenwust, Kommunikationstraining und fest definierte „Ersttagskompetenzen“ setzen. „Panta rhei“ – wer seine eigenen Grenzen kennt, gestaltet Veränderung, statt sich von ihr überrollen zu lassen.
105 Jahre Rusterholz – Sohlengeschwür erklärt und entschärft
Prof. Karl Nuss präsentierte die biomechanische Lösung des Rätsels: die laterale Zehe ist um 5–8 mm länger und trifft deshalb zuerst auf – sie übernimmt bis zu 68 % der Hintergliedmassenlast. Diese angeborene Asymmetrie erzeugt einen Circulus-vitiosus. Weicher Untergrund (Weide), weite Hohlkehlung und regelmässige Klauenpflege mindern das Risiko deutlich. Fazit für die Praxis: Wer vor dem Trockenstellen weiche Matten, ausreichende Liegezeiten und korrekte Klauenpflege kombiniert, halbiert Sohlengeschwür-Prävalenz und Lahmheitskosten.
Mastitis = Mastitis? – Nein, sagt Prof. Michèle Bodmer
Kontagiöse Keime verschwinden, Umwelterreger dominieren – „Euterentzündung plus Antibiotika gleich Heilung“ ist nicht richtig. Es wird ein individuelles, mehrstufiges Vorgehen gefördert: systematische Probenahme, Erregeridentifikation und gezielte Behandlung statt Routinetherapie. Eine antibiotische Behandlung der Mastitis ist nur noch in Ausnahmen indiziert; viele Fälle lassen sich mit NSAID, unterstützenden Massnahmen und strikter Melkhygiene lösen. Die neue Gleichung lautet: «Mastitis plus Diagnostik plus Management gleich nachhaltige Eutergesundheit und Milchqualität.»
Lahmheit in der Trockenstehzeit – kleiner Riss, grosses Risiko
Prof. Johann Kofler zeigte: Aus harmlosen Hornrissen werden binnen Wochen tiefe Infekte – Kühe landen in der Not-OP und haben später mehr Krankheiten (Ketoseproblematik, Fruchtbarkeitsstörungen). Wer neun oder zehn Wochen vor dem Abkalben bei jeder Kuh (inkl. Rinder) die Klauen pflegt und danach alle 14 Tage kurz auf Lahmheit prüft und sofort handelt ab den Score 2, halbiert Sohlengeschwüre und Schlachtungen/Euthanasien. Weitere Pluspunkte: weicher Untergrund, konsequente Nachbehandlung und 3 bis 4-mal jährliche Nachpflege bei Hochleistungs- und Altkühen. Kurz: Eine Lahmheitskontrolle mit ggf. Behandlung vor dem Trockenstellen = längere Lebensleistung und deutlich weniger Stress für alle.
Zukunft der Nutztierpraxis – Fachkräfte statt Fachkräftemangel
Prof. Alexander Starke berichtete: Strukturwandel und Personalmangel gefährden Tiergesundheit, Wirtschaftlichkeit und seelisches Wohlergehen von Landwirt und Tierarzt gleichermassen. Moderne Bestandsbetreuung verlangt „All-in-one“-Kompetenz: Einzeltierdiagnostik, Herden-Datenanalyse, Rechtskenntnis plus agrarwissenschaftliches Grundwissen (Fütterung, Stall, Klima). Voraussetzung sind attraktive Arbeitsplätze und besser finanzierte Ausbildungsstätten. Deshalb muss der Berufsstand gemeinsam mit Landwirtschaft und Politik für bessere Rahmenbedingungen einstehen.
Aktinomykose – harte Kieferknoten früh erkennen
Prof. Gaby Hirsbrunner erinnerte an die „Lumpy-jaw“-Krankheit: Aktinomyces bovis schlüpft durch kleine Schleimhautverletzungen und baut im Kiefer einen granulomatösen Abszess – oft erst Wochen später sichtbar. Mit klinischem Blick, Röntgen und Feinnadelaspirat (typische „Schwefelkörner“) lässt sich die Diagnose sichern. Frühtherapie mit Penicillin, NSAID und ggf. Kaliumiodid (10 g/Tag – leichten Tränenfluss beobachten) heilt in den meisten Fällen. In sehr fortgeschrittenen Situationen bleibt nur die Schlachtung oder Euthanasie – deshalb harte Kieferknoten gleich abklären und behandeln.
Festliegen – Muskelschutz beginnt auf dem Boden
PD Maike Heppelmann erklärte: 0,8–6 % der Kühe liegen nach der Geburt fest; jede fünfte davon wegen Muskel-/Nervenschäden. Wichtigster Sekundärschaden ist das Kompartmentsyndrom – weicher Untergrund und alle 3–4 h die Kuh von einer auf die andere Seite wenden verhindern ischämische Nekrose. Eine vollständige Untersuchung beider Seiten der Kuh, was in der Praxis nicht immer leicht durchzuführen ist, ist die Grundlage der Handlung – Therapie oder nicht? Therapieziel: Ursache bekämpfen und Sekundärschäden minimieren. Wenn die Kuh nicht frisst, nicht trinkt und nicht aufstehen kann, ist die Prognose schlecht. Pflege ist entscheidend: weicher Untergrund, alle 3–4 h wenden, «Vergrittungsgeschirr», kontrollierte Aufstellversuche oder ein entspannendes Wasserbad, das wäre am schonendsten. Fazit: Vollständige Untersuchung von beiden Seiten der Kuh ist Pflicht; wenn keine kontinuierliche Besserung oder schwere Störungen des Allgemeinbefindens eintreten, muss rasch die Euthanasieentscheidung fallen.
Prof. Ulrich Bleul (Zürich) bündelte die Lehren aus toxischen Enterobakterien-Mastitiden:
Schweregrad und Heilungschance hängen primär vom Erreger ab – E.-coli-Infektionen bieten bei geringer Resistenz und verfügbarem Bestandsimpfstoff die besten Aussichten, während Klebsiellen trotz in-vitro-Sensitivität häufig nicht auf antibiotische Therapie reagieren in der Praxis und ein hohes Toxämie-Risiko haben.
Ausblick auf die nächste „Bovinella“
Am Schluss gab es einen kleinen Ausblick auf die 11. Bovinella, welche als zweitägige Präsenzveranstaltung im Jahr 2027 stattfinden wird.
Autorin: Teja Snedec RGS