Webinar-Rückblick – 04. Juni 2025. «Streuströme im Milchviehstall – Ausnahme oder schon die Regel?»
Mit dieser Fragestellung beschäftigte sich unser gut besuchtes Webinar Anfang Juni. Streuströme, auch Kriechströme genannt, sind elektrische Ströme, die unbeabsichtigt über leitfähige Gebäudeteile, Anlagenteile oder das Erdreich fliessen. Während sie für den Menschen meist weder sichtbar noch spürbar sind, können sie bei Milchkühen erhebliche Auswirkungen haben: Verhaltensauffälligkeiten, sinkende Futteraufnahme, erhöhte Zellzahlen und eine beeinträchtigte Milchleistung können beispielsweise als Symptome auftreten.
Markus Rombach (AGRIDEA) führte die Teilnehmenden fundiert in das Thema ein und erläuterte die Grundlagen und Entstehungsmechanismen von Streuströmen. Besonders sensibilisierte er dafür, dass die erwähnten Symptome nicht ausschliesslich durch Streuströme verursacht werden können – eine umfassende und systematische Abklärung ist entscheidend. Er wies deutlich darauf hin, dass für die Abklärung von Streuströmen mit zertifizierten Experten zusammenzuarbeiten ist, welche berechtigt sind, alle Messungen durchzuführen.
Empfohlene Vorgehensweise bei Verdacht:
- Symptome genau dokumentieren z.B. mithilfe einer Check-Liste (Plattform Streuströme)
- Technische Erstprüfung durch Fachleute
- Gezielte Messungen durch VSEK-geschulte Expert:innen
Als zentrale Anlaufstelle für Informationen und Kontakte dient die Plattform Streuströme. Besonders in der heutigen Zeit – mit zunehmender Elektrifizierung und verstärktem Einsatz von Photovoltaik-Anlagen – ist eine fachgerechte Erdung und Potenzialausgleich von grösster Bedeutung.
Link Plattform: Streuströme
Praxisberichte aus dem Stall
Im zweiten Teil des Webinars berichteten Landwirte und Expert:innen praxisnah von konkreten Fällen:
- Jonas Schläpfer (Milchviehhalter, Appenzellerland) schilderte, wie es im Laufstall seines Betriebs über einen längeren Zeitraum zu auffälligen Verhaltensänderungen und Leistungseinbussen kam. Die Kühe lagen kaum noch in den Liegeboxen, waren unruhig und zeigten Lahmheiten, während sich die Milchleistung verschlechterte. Messungen ergaben, dass Streuströme von bis zu 1,2 Volt über die Stallinfrastruktur und Wasserleitungen einwirkten. Durch gezielte Massnahmen wie Isolation der Leitungen, Einrichtung einer zentralen Stallerdung und Umstellung auf ein TT-Netz konnte das Problem erfolgreich behoben werden. Resultat: signifikante Verbesserung der Tiergesundheit und eine Steigerung der Milchleistung um rund 500 kg pro Kuh und Jahr.
- Markus Gantenbein (Milchviehhalter, St. Gallen) berichtete von Problemen nach dem Umzug in einen neu gebauten Laufstall. Während die Eingewöhnung zunächst problemlos verlief, entwickelten die Kühe nach wenigen Wochen Verhaltensauffälligkeiten: Sie mieden das Fressgitter und die Zellzahlen stiegen deutlich an. Die technische Überprüfung zeigte, dass durch eine fehlerhafte Anbindung des Fressgitters ein Potenzialunterschied entstand. Nach fachgerechter Korrektur der Erdung sowie einer Optimierung am Melkstand stabilisierte sich die Situation im Stall und die Eutergesundheit verbesserte sich schrittweise.
- Matthias Kern (Milchviehhalter, Rehetobel) kämpfte mit erhöhten Zellzahlen, Verhaltensproblemen der Kühe im Melkstand und häufigem Einsatz von Oxytocin. Neben einer fehlerhaften Einstellung von Melkvakuum und Pulsation wurden auch Streuströme an Anlageteilen festgestellt. Nach technischen Korrekturen und gezielten Isolationsmassnahmen konnte das System entstört werden.
Wichtiges Fazit aus allen drei Fällen: Nach Belastung durch Streuströme oder technische Probleme benötigen die Kühe oft mehrere Wochen bis Monate, um Vertrauen und normales Verhalten wiederzugewinnen. Dies bestätigte auch Markus Rombach von der Agridea und empfahl, deshalb jeweils nur etwas auf einmal zu verändern bei den Optimierungen.
- Maren Feldmann (RGS) stellte einen Fall vor, in dem Streuströme zunächst als Ursache für das Meideverhalten der Kühe im Melkstand vermutet wurden. Umfangreiche Messungen ergaben jedoch keine relevanten Streuströme. Stattdessen stellten sich bauliche Mängel (z.B. eine hohe Stufe beim sehr schmalen Eingang in den Melkstand, welche auch sehr schlecht beleuchtet war, Riffelblech beim Ein- und Austritt in den Melkstand, was einerseits zu akustischen Belastungen führte und keinen sicheren Gang ermöglichte) als massgebliche Ursachen heraus. Der Fall zeigte deutlich, wie wichtig es ist, auch bauliche und managementbedingte Faktoren systematisch in die Ursachenanalyse einzubeziehen.
- Andreas Niederhäuser (HAFL Melkforum) rundete das Webinar mit praxisnahen Empfehlungen zum Thema Melktechnik ab. Mit dynamischen Messungen zeigte er, wie sich die Wahl der Zitzengummis, die Einstellung von Vakuum, Pulsation und Abnahmeautomatik direkt auf die Eutergesundheit und Milchqualität auswirken können. Auch bei unerklärlichen Problemen im Melkprozess sei eine technische Analyse der Melkanlage daher unerlässlich.
Fazit
Streuströme sind im Stallgeschehen eher die Ausnahme als die Regel, doch im Einzelfall können sie erhebliche Auswirkungen auf das Tierwohl und die Produktionsleistung haben. Eine strukturierte und interdisziplinäre Abklärung ist entscheidend – und sollte immer auch bauliche, technische und managementbezogene Aspekte berücksichtigen.
Autorin: Josie Siegel RGS