Farmer's Corner 12/12

Die Auswirkungen der kuhgebundenen Aufzucht auf das Sozialverhalten von Milchvieh – eine Pilotstudie

Die frühe Trennung des Kalbes von der Mutter, meist innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt, ist in der Milchviehhaltung gängige Praxis. Zunehmend gerät jedoch die kuhgebundene Aufzucht (Cow-Calf-Contact, CCC) in den Fokus von Forschung und Praxis. In diesem Haltungssystem dürfen Kälber über mehrere Wochen hinweg bei ihrer Mutter oder einer Ammenkuh bleiben und saugen. Frühere Untersuchungen zeigen, dass die frühe soziale Interaktion zwischen Kuh und Kalb positive Auswirkungen auf Tierwohl, Verhalten und Persönlichkeitsentwicklung haben kann.

Eine aktuelle Pilotstudie untersuchte, die Auswirkungen der kuhgebundenen Aufzucht im Vergleich zur frühen Trennung und Aufzucht in einer Kälbergruppe während der ersten drei Lebensmonate auf soziale Merkmale. Dazu wurden 18 weibliche Deutsche Holstein-Rinder in zwei Gruppen aufgezogen: Neun Kälber wuchsen im Rahmen einer kuhgebundenen Aufzucht (Contact-Gruppe) auf, in der sie über zwölf Wochen direkten Kontakt zu ihrer Mutter hatten und saugen durften. Die anderen neun Kälber wurden innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt von der Mutter getrennt und über einen automatischen Tränkeautomaten versorgt (Automat-Gruppe).

Nach dem Absetzen, im Alter von mindestens sechs Monaten, wurden die Tiere in zwei Situationen beobachtet: Zum einen wurde das spontane Sozialverhalten jedes Tieres über fünf Stunden im Heimstall aufgezeichnet, zum anderen erfolgte ein sogenannter Sozialitätstest in einer vertrauten Testumgebung (siehe Abbildung 1). Dieser bestand aus einer fünfminütigen Isolationsphase, in der das Tier von der Gruppe getrennt war, und einer anschliessenden fünfminütigen Wiedervereinigungsphase. Zusätzlich standen für sechs Tiere aus der Contact-Gruppe Videoaufzeichnungen aus den Abkalbeboxen zur Verfügung, anhand derer Art und Umfang der mütterlichen Fürsorge in den ersten Lebenstagen dokumentiert wurden. Die Auswertung erfolgte mit linearen Mischmodellen und Varianzanalysen (ANOVA).

Die Ergebnisse zeigten deutliche Unterschiede zwischen den Aufzuchtsystemen. Kälber aus der Contact-Gruppe zeigten in der Herde signifikant häufiger untergeordnete Verhaltensweisen, was als Hinweis auf eine höhere soziale Kompetenz gedeutet wird. In sozialen Gruppen ist die Fähigkeit, Rangordnungen zu erkennen und angemessen zu reagieren, entscheidend, um Konflikte zu vermeiden. Während der Isolationsphase waren die Contact-Tiere ausserdem aufmerksamer und blickten länger in Richtung des Ausgangs als die früh getrennten Tiere. Dieses Verhalten deutet auf eine stärkere soziale Orientierung und eine höhere Motivation zur Wiedervereinigung mit Artgenossen hin.

Hingegen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit oder Dauer affiliativer, also freundlicher sozialer Interaktionen (z. B. Belecken) oder in der Latenzzeit bis zur Wiedervereinigung während der Reintegrationsphase. Besonders interessant war jedoch der Zusammenhang zwischen der Intensität mütterlicher Fürsorge und dem späteren Sozialverhalten der Tiere. Je mehr mütterlichen Kontakt die Tiere in den ersten Lebenstagen hatten, desto mehr freundliche Interaktionen zeigten sie später – sowohl die von ihnen initiierten (P = 0,043) als auch die von ihnen empfangenen (P = 0,016).

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die frühe soziale Erfahrung mit der Mutter langfristige Auswirkungen auf die Entwicklung sozialer Fähigkeiten haben kann. Tiere, die mit Kuhkontakt aufgezogen wurden, reagierten in sozialen Situationen offenbar sensibler und angemessener, was auf eine bessere soziale Kompetenz schliessen lässt. Darüber hinaus weist die beobachtete Korrelation zwischen mütterlicher Fürsorge und späterem Sozialverhalten darauf hin, dass individuelle Unterschiede im Verhalten der Mutter die soziale Entwicklung des Nachwuchses beeinflussen können – möglicherweise vermittelt durch hormonelle (z. B. Oxytocin) oder epigenetische Mechanismen, wie sie auch aus anderen Tierarten bekannt sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kuhgebundene Aufzucht nicht nur physiologische und gesundheitliche Vorteile, sondern auch positive Effekte auf die soziale Entwicklung und das Verhalten von Milchkühen haben kann. Aufgrund der geringen Stichprobengrösse handelt es sich jedoch um eine Pilotstudie, die vor allem als Grundlage für weiterführende Untersuchungen dient.

Abb. 1 Skizze der Versuchsanordnung für den Sozialitätstest mit Weiden für Versuchskühe (P1) und Kälber (P2). Die Testumgebung umfasste einen Wartebereich und einen Isolationsbereich, die durch einen Gang miteinander verbunden waren, der (a) einen Untersuchungsbereich, (b) eine Waage und eine Tür (c) enthielt. Kameras wurden (d) am Ende des Gangs installiert und (e) von einem Versuchsleiter, der auf einer Leiter stand, in Position gehalten. Für die Analyse wurde der Isolationsstall alle Meter mit rotem Klebeband am Zaunmarkiert, um ihn schließlich in drei Bereiche (A1, A2, A3) unterteilen zu können.

 

Autorin: Josie Siegel RGS

 

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