Rückblick Webinar vom 06.03.2024: Warum ist Schmerzerkennung so wichtig?

Wir haben uns sehr gefreut mit Claudia Spadavecchia, Professorin für Anästhesiologie an der Universität Bern, eine international anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet der Schmerzbekämpfung bei diesem Webinar dabei zu haben.

Als erstes hat sie erklärt, was Schmerz überhaupt ist und wie er entsteht. Schmerzempfindung ist eine persönliche Erfahrung, bei der individuelle Unterschiede und persönliche Erfahrungen eine Rolle spielen. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass alle Säugetiere Schmerzen auf ähnliche Art und Weise erleben, auch wenn sie es unterschiedlich ausdrücken.

Der Vorgang der Schmerzentstehung (Nozizeption) geht über mehrere Stationen, bevor Schmerz bewusst vom Gehirn wahrgenommen wird. Die Wahrnehmung von Schmerz ist wichtig, denn sie schützt uns davor, unseren Körper zu schädigen, z.B. indem man den Fuss zu nahe ans Feuer stellt. In einer Narkose gibt es keine bewusste Wahrnehmung, trotzdem kann aber Schmerz entstehen, der später wahrgenommen wird.

Es ist wichtig, die Entstehung von Schmerzen möglichst früh zu unterbrechen, damit kein krankhafter Schmerz entsteht, der zu einem chronischen Zustand mit Minderung der Lebensqualität führen kann. Chronischer Schmerz kann über eine langanhaltende Entzündung (Wunde heilt nicht ab) oder auch die Schädigung von Nerven (neuropathischer Schmerz) entstehen. Als Beispiel wurde eine Klauenamputation beschrieben mit einem chronisch-entzündlichen Schmerz, sowie der unweigerlichen Schädigung von Nerven beim Abtrennen der erkrankten Klaue. Rechtzeitig und korrekt durchgeführt hat so ein Eingriff häufig eine gute Prognose, doch wenn es zu einem chronischen Schmerzustand führt, so wird die Behandlung in der Praxis sehr schwierig. Die Schmerzspirale kann dann fast nur noch mit aufwändigeren Methoden am Tierspital unterbrochen werden.

Schmerzen haben unter anderem einen Einfluss auf die Verdauung, das Wohlbefinden und die Produktivität und beeinträchtigen auch das Immunsystem. Tiere mit Schmerzen, erst recht wenn sie chronisch werden, sind anfälliger für Infektionen, haben schlechte Zunahmen und geben weniger Milch.

Wie können wir eine solche negative Entwicklung verhindern? Als erstes müssen wir den Schmerz erkennen. Das kann sehr einfach sein, wenn ein klar schmerzhaftes Ereignis wie eine Enthornung oder eine Kastration geplant ist. In diesem Fall gibt es Richtlinien des Bundesamtes für Veterinärwesen, wie der Schmerz bestmöglich verhindert wird. Diese Richtlinien werden in den entsprechenden Kursen für Tierhalter/innen vermittelt.

Etwas schwieriger wird es, wenn ein Schmerz spontan, also ohne Vorwarnung, entsteht. Als stoisches Fluchttier versucht das Rind ein Unwohlsein möglichst zu verbergen. Claudia Spadavecchia hat Forschungsergebnisse aus Dänemark zur Schmerzerkennung beim Rind gezeigt. Die Studie beschreibt das Schmerzgesicht der Kuh und hat eine verhaltensbasierte Schmerzskala entwickelt. Dabei spielt die Aufmerksamkeit, die Kopf-und Ohrhaltung, der Gesichtsausdruck, die Reaktion auf Annäherung und die Rückenhaltung eine Rolle.

Eine andere interessante Studie aus Deutschland (Bayern) hat gezeigt, dass Landwirt/innen und Tierärzte/innen auf unterschiedliche Zeichen achten, um Schmerzen zu erkennen. So ist für die Tierärztin/den Tierarzt die Atemfrequenz oder Haltung und Gang wichtiger als für die Landwirtin/den Landwirten, während letzteren aber eher eine Abmagerung oder eine sinkende Milchleistung auffällt.

Das Konzept der Betriebsblindheit, hier «Homeblindness» genannt, spielt auch bei der Schmerzerkennung eine Rolle: Was man häufiger sieht, wird «normaler». Während für Tierärzte/innen chirurgische Routineeingriffe zum Alltag gehören, kann ein Landwirt/eine Landwirtin gegenüber Lahmheiten abstumpfen, vor allem wenn sie in einer Herde häufig vorkommen.

Eine strukturierte und objektive Herangehensweise über eine Schmerzskala kann gegen Betriebsblindheit helfen. Auch individuelle Unterschiede in der Reaktion auf Routineeingriffe wie das Enthornen können durch Schulung des Auges erkannt und Tiere entsprechend behandelt werden.

In der Folge wurde auf verschiedene Mittel der Schmerzbekämpfung wie Xylazin (Sedation, aber wirkt auch gegen Schmerzen) Lidokaine (Lokalanästhesie) und Medikamente der Gruppe der nichtsteroidalen Entzündungshemmer (Meloxicam, z.B. in Metacam®, Ketoprofen in Dolovet® und Rifen® und Flunixin). Die letztere Gruppe hat folgende Wirkungen gemeinsam: Abschwellend, fiebersenkend und schmerzmindernd, doch die verschiedenen Wirkstoffe haben auch ihre Eigenheiten, so bleibt Ketoprofen z.B. nicht lange im Blut, sondern reichert sich am Ort der Entzündung an. Dadurch werden Nebenwirkungen vermindert. Die Nebenwirkungen von Schmerzmitteln können schwergradig sein und zu Labmagengeschwüren oder Nierenversagen führen. Deshalb ist eine korrekte Anwendung in Absprache mit dem Tierarzt sehr wichtig.

Während des Webinars ist eine angeregte Diskussion rund um eine ganze Reihe weiterer Schmerzmittel entstanden und Claudia Spadavecchia ist eine halbe Stunde länger geblieben, um die vielen Fragen v.a. aus der Tierärzteschaft zu beantworten. Wir möchten uns für ihre Zeit und für das Interesse der Teilnehmer/Innen nochmal herzlich bedanken!

Im zweiten Teil hat uns Adrian Schenkel, Landwirt aus Kirchdorf, in seinen 2022 neu gebauten Stall mitgenommen. Er hat uns seine Überlegungen zum Stallbau, der Auswahl der Genetik und der Fütterung dargelegt. Danach sind wir nochmal ins Thema eingetaucht und er hat beschrieben, wie er Schmerzmittel, v.a. Dolovet® nach Komplikationen bei der Geburt oder bei Euterentzündungen einsetzt und damit bei einer frühen Erkennung ab und zu mal keine weitere Therapie nötig ist. Auf dem Betrieb wird selbst enthornt und Metacam® wird nicht nur dafür, sondern z.B auch für hustende Kälber eingesetzt, die kein Fieber zeigen. Mit einer frühen Erkennung und der Anwendung von Schmerzmitteln können so weitere Kosten gespart und der Einsatz von Antibiotika vermindert werden. Der Betrieb von Adrian Schenkel wird von der Tierarztpraxis Kiesen betreut. Astrid Michel, langjährige Mitarbeiterin und eine Buiatrikerin mit grosser Erfahrung, war bei dem Besuch mit dabei und die zwei haben gezeigt, wie eine Zusammenarbeit zwischen Tierärztin und Landwirt gut funktionieren kann.

 

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